Aus der mehr oder weniger beliebten, aber jedenfalls existierenden Reihe „Ein Halbmarathon in …“: Diesmal bella italia! Es kam so: Nach einer verletzungsbedingten Laufpause im Frühjahr war das Wettkampfbedürfnis in der zweiten Jahreshälfte so stark ausgeprägt, dass ich mich auf die Suche nach einem Halbmarathon in der Adventzeit machte. Auf irgendeiner der unzähligen Plattformen mit Wettkampfkalender sprang mir eine Veranstaltung in Cittadella, Italien ins Auge. Wettkampfzuneigung auf den ersten Blick, bei so einem klingenden Ortsnamen.
Also weitere Recherche: Cittadella ist eine mittelalterliche Kleinstadt in der Nähe von Vicenza, bekannt für die hervorragend erhaltene, aber mittlerweile eher funktionslose kreisrunde Stadtmauer mit einer stolzen Höhe von 13 Metern bei einem Umfang von nur 1620 Metern, die real gewordene Meile. Innerhalb der Mauern eine pittoreske, noch nicht gänzlich dem internationalen Turbotourismus zum Opfer gefallene Altstadt, außerhalb ein von zahlreichen Enten bevölkerter Wassergraben und eine absurde Anzahl an Parkplätzen. Die historische Relevanz entstammt der Nähe zu Padua, als deren militärischer Vorposten die Stadt im 13. Jahrhundert angelegt worden war, die aktuelle Relevanz ist die eines liebenswerten Tagesziels in der an Attraktionen nicht armen Poebene.


Am 21.12.2025 würde am Kopfsteinpflaster der Altstadt der 19. „Maratonina Città Murata“ seinen Ausgang und sein Ziel nehmen, eine Laufveranstaltung mit reinem Halbmarathonfokus – also perfekt! Der Blick auf die Ergebnislisten der vergangenen Jahre machte die Wahl noch leichter: Durchwegs sehr starke Siegerzeiten rund um 63 Minuten, 17 Athlet:innen unter 70 Minuten im vergangenen Jahr. Wohl Mitgrund dafür ein für den Laufbereich durchaus stattliches Preisgeld um die 1500 € pro Kopf für die Schnellsten. Ein perfektes Streckenprofil mit einer sehr sachten Ministeigung von rund 15 Metern verteilt über die ersten 10 Kilometer, die dann in der zweiten Hälfte als kleiner Bergab-Turbo zur Verfügung stehen, ist guten Zeiten sicherlich auch nicht abträglich. Als ob es noch weitere Überzeugungsarbeit gebraucht hätte, sprachen auch Klima (die Poebene im Dezember angenehm temperiert und üblicherweise sehr windschwach), das unschlagbare Preis-Leistungs-Kaffeeverhältnis und andere italienische zivilisatorische Errungenschaften (Bidet) für dieses Ereignis.
Eine kleine Hürde war noch ins Anmeldeprozedere eingebaut, denn die Onlineregistrierung war gemeldeten Leichtathlet:innen vorbehalten. Für italienische Staatsangehörige bedeutete das die Mitgliedschaft beim Leichtathletikdachverband Fidal und zusätzlich ein ärztliches Attest, für Ausländer eine World Athletics-Mitgliedschaft ohne die Notwendigkeit attestierter Gesundheit. Hier die Werbeeinblendung: Als LC Wolkersdorf-Mitglied kann man beim österreichischen Leichtathletikverband registriert werden, und damit indirekt auch bei World Athletics. Das öffnete mir die Pforte nach Cittadella.
So also gings am Vortag des Halbmarathons vom weihnachtlich trüben Wiener Becken mit bislang ganzen sieben Sonnenstunden im Dezember in die sonnige Weite Norditaliens, wo die einzigen Winterspuren hoch oben auf den fernen Gipfeln der Dolomiten zu erspähen waren. Nicht hundertprozentig perfekt, aber eigentlich auch erwartbar war die ebenfalls sehr italienische Geräuschkulisse am Platz vor dem Hotelzimmer, wo bis spät in die Nacht gefeiert wurde – aber wurscht, die Voraussetzungen für erfolgreiche Läufe entscheiden sich sowieso in den Wochen und Monaten davor. Apropos: Die Vorbereitung war dieses Jahr neben der erwähnten Verletzung im Frühjahr eine echte Achterbahnfahrt. Ab Juni war ernsthaftes Training wieder möglich, gleich im September konnte ich beim Vienna Night Run (knapp 5 km) höchstzufrieden resümieren, das Tempo stimmte wieder. Aber die Ausdauer? Im Oktober beim Drei-Länder-Marathon am Bodensee versuchte ich mich über meine geliebte Halbmarathondistanz, blieb aber mit 01:11:00 recht deutlich über meiner bisherigen Bestleistung von 01:09:47. Die wollte ich in Italien diesmal einstellen, aber passte die Form dafür? Bei den niederösterreichischen 10 km-Landesmeisterschaften im Rahmen des Klosterneuburger Adventlaufs Ende November musste ich erstmals in meinem Läuferleben aus dem Rennen aussteigen und ein absolut ehrenloses DNF akzeptieren, irgendwas stimmte schon die ganze vorangegangene Woche nicht mit sehr schlappen Beinen und lustlosen Läufen. Was auch immer gefehlt hatte, es war bald danach wieder da, und das Training lief auf einmal wieder rund. Was dieses Mischmasch an Erfahrungen für Cittadella bedeuten sollte, war schwer abzusehen.
Also zurück zum Veranstaltungstag: Bei der Startnummernabholung gabs zunächst das mit Abstand bestgefüllte Startersackerl jemals zu bekommen – keine vollständige Aufzählung, nur ein paar großteils kulinarische Highlights: 3 Sorten Pasta zu insgesamt 1,5 kg, 1 Liter Gemüsebrühe (??), 4 Arten von Knabbergebäck, Toastbrot ohne Rand für Tramezzini (!!), 3 Säfte, Laufweste von Mizuno. Nach Ablegen dieses schweren Gepäcks und nach dem einen oder anderen Espresso Machiato in einer der belebten Altstadtbars gings an die Startlinie.

Die 3600 Teilnehmer:innen fädelten sich gegen 10 Uhr geduldig entlang der Via Marconi – eine der beiden Transversalen des Altstadtkreises – auf; ich hatte anhand der Fotos aus dem Vorjahr mit deutlich mehr Gedränge in der nicht allzu breiten Straße gerechnet. Unvorstellbar für manch große österreichische Laufveranstaltung: Die Einteilung in Startblöcke kann funktionieren, wenn sie nur kontrolliert und umgesetzt wird. Bald wurde der Countdown von 10 herunter gezählt, und los gings mit dem Startschuss.

Nach ein paar hundert Metern führte der Weg durch ein Stadttor und über den Wassergraben Richtung Westen raus in die weite, sonnige Fast-Ebene, eine häufig von kleinen Siedlungen durchbrochene Agrarlandschaft. Wie immer bei solchen Läufen galt mein Fokus zunächst einer läuferischen Binsenweisheit, nämlich mich nicht mitreißen zu lassen von der angespannten Stimmung und dem hohen Starttempo ringsum. Tatsächlich landet man meiner Erfahrung nach mit etwas Restriktion auf dem ersten Kilometer meistens ziemlich genau auf der Wunschpace und verschießt noch nicht allzu viel Pulver, darf dafür kleine Erfolgsmomente beim Aufsammeln der zu schnell Startenden genießen. Der Nachteil der Methode: Es wird schwierig, sich anderen Läufergruppen anzuschließen, weil diejenigen, die die eigene geplante Zielpace laufen, meistens nicht so zurückhaltend starten und dementsprechend mehr oder weniger weit voraus sind. So leider auch in diesem Fall. Die ersten 5 oder 6 km konnte ich noch eine kleine Gruppe zum Mitlaufen aufgabeln, dann musste ich aber allein weiterziehen, um noch eine Chance auf die PB zu wahren. Die paar Male, die ich meine Pace auf der Uhr kontrollierte, stimmten da zumindest nicht ganz pessimistisch. Es ging ja noch leicht bergauf, und oft sah ich da 03:19 min/km, leider aber auch ein paar Mal rund um 03:22 min/km, was dem Ziel-Durchschnitt von 03:17 min/km schon eher im Wege war. Zum Glück war an Aufgeben diesmal wirklich nicht zu denken, Beine und Kopf erfüllten ihren Auftrag pflichtbewusst, und es blieb lange ein vergleichsweise müheloses Unterfangen – genau was den Halbmarathon für mich so liebenswert macht. Eh klar, rund um Kilometer 14 oder 15 wurden die Beine dann doch allmählich schwerer und die Distanzen zwischen den Kilometern scheinbar länger, aber das Tempo zu halten war gleichzeitig noch kein Problem. Auf der Uhr registrierte ich immer wieder ca. 03:15 min/km, damit wähnte ich mich auf Kurs, gleichzeitig war klar, dass eine deutliche Steigerung der PB wohl nicht möglich war. In der Ferne suchte ich lange vergeblich die markante Stadtmauer von Cittadella, doch die Ausläufer der Stadt machten sich bemerkbar. Kilometer 18, 19, … – noch einmal alles herausholen, bis auf ganz kurze Durchhänger war das an dem Tag wirklich gut möglich, ich sammelte weiterhin einige andere Läufer ein, auf dem Schlusskilometer gerade mal so auch die führende Dame. Dann war da der Anblick der Stadtmauer, die letzten schmerzhaften Meter durchs Stadttor durch, auf den ausgerollten roten Teppich und hin zum Hauptplatz ins Ziel. Dann der Blick auf die Uhr: 01:09:59, um ein paar Sekunden hinter dem selbstgesteckten Ziel, aber doch irgendwie froh, ein ganz gutes Rennen mit negativem Split abgeliefert zu haben. Natürlich auch etwas Hadern, was-wäre-wenn-Spiele, ob ein schnellerer Beginn nicht doch besser gewesen wäre. Aber eigentlich: Es war ein sonniger, fast frühlingshafter Tag in Cittadella, dampfende Pasta wartete im Veranstaltungszelt, und der Weihnachtsurlaub stand auch vor dem Stadttor.

