Ein Halbmarathon im amerikanischen Hinterland

Reisen zu den großen Laufsportveranstaltungen dieser Welt kann man durchaus als Trend bezeichnen – einmal in Berlin, London, Boston oder New York mitgelaufen zu sein, gehört für viele Läufer und Läuferinnen zu den großen Zielen in ihrer Laufkarriere. Als ich Ende letzten Jahres mit zwei Freunden (Manuel von wetter-waldviertel.at und Simon von wettermittelkaernten) Pläne schmiedete, die erste Oktoberhälfte in den USA zu verbringen, um dort die großen Städte im Nordosten und die Neuenglandstaaten zu bereisen, spielte die Teilnahme an einem Lauf freilich keine Rolle; unser Zugang war ein eher unüblicher: Zuerst legten wir die Reiseroute fest, und erst im Nachhinein recherchierten wir, ob entlang dieser Route zufällig ein Lauf stattfindet. Mit den modernen Mitteln des Cyberspace war schnell ein passender Lauf gefunden: Am 7. Oktober sollte in Concord, New Hampshire – Staatsmotto: „Live Free or Die“ – ein Halbmarathon veranstaltet werden, der „Delta Dental New England Half Marathon“. Nach dem Sichten des Startgelds – stolze 75$ – noch einmal kurz zögernd, entschieden wir uns letzten Endes doch, diesen Lauf in unsere Reise zu integrieren.

Auf der Interstate in Richtung Halbmarathon

Mit einiger Vorfreude auf das Rennen, aber auch Neugierde auf die Organisation und den Ablauf sollten wir dann einige Monate später frühmorgens mit dem Mietwagen von einem nahegelegenen Motel nach Concord fahren – übrigens besteht in New Hampshire kurioserweise keine Gurtpflicht, siehe Staatsmotto. Mit etwa 43.000 Einwohnern handelt es sich bei Concord zwar weder um die bevölkerungsreichste noch die schönste Stadt New Hampshires, zur Hauptstadt des Bundestaats reicht es aber trotzdem. Nachdem es sich bei dem dortigen Halbmarathon nicht um einen Rundkurs handelte, mussten wir per Shuttlebus zunächst vom Zielbereich im Herzen der Stadt an den rund 70 Höhenmeter höhergelegenen Start verfrachtet werden. Es erfüllte sich ein Lebenstraum: Für die LäuferInnen standen die typisch amerikanischen, gelben und innen sehr engen Schulbusse bereit. Nach einer halbstündigen Fahrt durch bewaldetes, dünn besiedeltes Gebiet kamen wir an einem ebenfalls nicht unamerikanischen Ort an: Dem New Hampshire Speedway, einer Autorennstrecke, hingepflanzt mitten in den Wald, mit Zuschauerrängen hoch wie nur in wenigen österreichischen Fußballstadien und sogar den einen oder anderen Wolkersdorfer Monumentalbau in den Schatten stellend.

Die Organisation war einwandfrei, die Startnummern hielten wir binnen kürzester Zeit in Händen, und Gepäck konnte abgegeben werden, um es im Ziel wieder abholen zu können. Eine halbe Stunde vor Rennbeginn eine kurze Ernüchterung; ein starker Regenschauer zog durch, zum Glück konnte man sich unter der Tribüne der Rennstrecke einwandfrei unterstellen, kalt war es mit ca. 17°C, pardon 63°F, auch nicht gerade. Rechtzeitig vor Rennbeginn hörte der Regen wieder auf, und die knapp 1000 LäuferInnen formierten sich vor dem Start. Ganz vorne an der Startlinie begrüßten sich die Starter per Handschlag, die vermeintlich Besten kannten sich. Dann wurde es leicht skurril, zumindest für mitteleuropäische Usancen: Wenige Minuten vor dem Start folgte der Auftritt der lokalen Schönheitskönigin, die mit einiger Stimmgewalt und Inbrunst die amerikanische Hymne intonierte, während man selbst mit Blick auf die in der Windstille traurig dahängende US-Flagge neben dem Startbogen, Hand auf der Brust, dastand. Nach diesem kurzen Moment des Innehaltens fiel aber endlich der Startschuss: Vom Areal des Speedways hinaus auf die Straße zurück nach Concord. Das Tempo war schon direkt nach dem Start sehr hoch, da die Strecke gleich einmal leicht bergab führte. Es dauerte ungefähr sechs Minuten, bis ich die erste von insgesamt dreizehn Meilenmarkierungen – der Halbmarathon ist in den USA arithmetisch ja durchaus zurecht als 13.1-Mile-Race bekannt – erreichte. Von Beginn an spür- und hörbar war der Enthusiasmus der Zuschauer. Jede einzelne Person am Streckenrand jubelte den Läufern zu, viele riefen Aufmunterndes. Man mag den USA einiges unterstellen können; aber die Begeisterung und Wertschätzung für Sport im Allgemeinen – und sei es so etwas Banales wie ein Hobby-Halbmarathon – ist eine andere als in Österreich. Nach fünf Kilometern führte die Strecke weg von der größeren Straße auf einen breiten und gut ausgefahrenen, aber nicht asphaltierten Waldweg. Hier wurde es mit der herbstlichen Blattverfärbung des Indian Summer richtig idyllisch, allerdings auch hügelig. Unzählige Male ging es kurz bergab und postwendend wieder hinauf. Hier einen guten Rhythmus zu finden war nicht einfach, aber es ging: Ich konnte zu einer Gruppe Läufern aufschließen, die kurz nach dem Start davongezogen waren, und lief an ihnen vorbei. Ab diesem Punkt war es ein einsames Rennen, nur einen weiteren Läufer konnte ich später noch einholen, danach sah ich gar niemanden mehr vor mir – wohl wissend, dass da noch eine Handvoll Läufer sein musste. Aus dem Halbmarathontrott kurz herausgerissen wurde ich hin und wieder von den Wahlplakaten, die in den USA typischerweise bei Hauseinfahrten oder in Vorgärten stehen. Bei einer der vereinzelt vom Forstweg abbiegenden Hauseinfahrten war, neben einer recht einschüchternden Warnung vor dem Betreten des Grundstücks (ich musste wieder an das Staatsmotto denken), auch eine Plakat gewordene Huldigung an Trump und seinen Vizepräsidenten Pence zu sehen. Nach 10 Meilen, die ich unter einer Stunde schaffte, dämmerte mir schon, dass sich eine neue persönliche Halbmarathonbestzeit ausgehen würde. Zumal das Streckenprofil es auch wirklich leicht machte, die letzten Kilometer führten dann nämlich durch die Suburbs bergab nach Concord, wo ich in Blickweite des New Hampshire State House nach 01:18:12 als Sechster ins Ziel einlief, weit hinter dem Sieger aus Rhode Island, der die Strecke in 01:09:24 zurückgelegt hatte, dafür aber auch ein Preisgeld von 150$ kassierte. Simon und Manuel kamen ein bisschen später an, waren mit ihren Läufen aber auch hochzufrieden.

Ausnahmsweise sind auch Nicht-LC-Mitglieder am Bild erlaubt

Im Ziel sprach sich bald herum, dass drei Läufer aus Austria teilgenommen hatten – die einzigen anderen internationalen Gäste kamen aus dem angrenzenden Kanada – und ich konnte ein wenig mit dem Organisator sprechen, der sich amerikanisch-freundlich mit mir über unsere Reise unterhielt, seine Enttäuschung aber nicht ganz verbergen konnte, dass wir nicht extra für seinen Lauf angereist waren. Neben einer schönen Finishermedaille und einer Jacke für alle Teilnehmer gab es im Ziel hervorragende Verpflegung und an einzelnen Standeln wurden Werbegeschenke ausgeteilt, die man bei anderen Laufveranstaltungen vermutlich auch im Startersackerl finden würde. Nach der Konsumation eines Freibiers in einem nahegelegenen Lokal und einem ausgiebigen Mittagessen verabschiedeten wir uns aus Concord, New Hampshire.

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